In den ersten Monaten lassen sich Babys noch von unbekannten Personen tragen, beruhigen, wickeln oder füttern, auch wenn sie vertraute Menschen bevorzugen. Ab dem vierten Monat ändert sich das. Babys fangen an zu fremdeln, und zwar überall auf der Welt. Ausgeprägt ist das Fremdelverhalten von Kind zu Kind unterschiedlich. Mit rund 21 Monaten endet die Fremdelphase schließlich.
Das Fremdeln schützt das immer mobiler werdende Kind vor einer Trennung von seinen Bezugspersonen. Es möchte seine Versorgung sicherstellen.
Um Problemen in der Fremdelphase wie etwa dem Schlafverhalten oder dem Start in die Krippe zu begegnen, ist es wichtig, das Verhalten des Babys zu verstehen und zu begleiten.
Jedes Kind fremdelt – Fremdeln als normales Verhalten
Das Fremdeln lässt sich im zeitlichen Verlauf überall auf der Welt in jeder Kultur beobachten, nur die Ausprägung des Fremdelns unterscheidet sich, abhängig vom sozialen Hintergrund. Das Baby fängt plötzlich an zu weinen oder unruhig zu werden, wenn Fremde es anschauen oder sich um es kümmern wollen.
Allgemein gilt, in fremder Umgebung fremdeln Kinder stärker. Zu Hause oder in anderen vertrauten Situationen fällt die Reaktion geringer aus. Auch die persönlichen Eigenschaften des Kindes haben einen Einfluss auf die Ausprägung des Fremdelns. Das Weinen, Abwenden und Schutzsuchen bei vertrauten Personen sind ein ganz normales Verhalten.
Die Fremdelphase im Baby- und Kleinkindalter
In den ersten drei Lebensmonaten lassen sich die meisten Babys noch von allen Menschen versorgen. Mit etwa vier bis fünf Monaten beginnt das Fremdeln, das etwa im achten Monat seinen Höhepunkt erreicht. Das Verhalten kann bis in die Mitte des dritten Lebensjahres andauern.
Beginn des Fremdelns mit 4 bis 5 Monaten
Mit etwa vier bis fünf Monaten fangen Babys an zu fremdeln. Auch vorher können Babys bereits Menschen etwa am Geruch oder nach einigen Lebenswochen am Gesicht unterscheiden, aber sie lassen sich trotzdem von Fremden versorgen. In früheren Zeiten war die Müttersterblichkeit sehr hoch. Das Baby war demnach darauf angewiesen sich in den ersten Lebenswochen auf eine andere Versorgungsperson einzustellen.
Nach einem halben Jahr ist es so weit, dass Babys regelrecht Angst vor Fremden bekommen. Sie zeigen beim Anblick von Fremden Angstreaktionen wie Weinen oder Schutzsuchen bei einer vertrauten Person.
Höhepunkt des Fremdelns im achten Lebensmonat
Den Höhepunkt des Fremdelns erreichen Kinder ungefähr im achten Lebensmonat. Die Reaktionen des Fremdelns verstärken sich nun. Das Baby wendet sich von Fremden ab. Es reagiert mit Panik auf unbekannte Personen und lässt sich nur von Bezugspersonen wieder trösten. Sogar Oma und Opa oder der Papa können in dieser Zeit für das Baby angsteinflößend sein, obwohl es vorher gerne auf ihrem Arm war.
Ab etwa 15 Monaten lässt das Fremdeln wieder nach, bis das Verhalten spätestens in der Mitte des dritten Lebensjahres wieder verschwindet. Die Ausprägung ist von Kind zu Kind unterschiedlich.
Davor schützt das Fremdeln
Das Fremdeln fällt nicht zufällig mit dem Zeitpunkt zusammen, in dem das Baby allmählich mobiler wird und sich auf das selbstständige Erkunden vorbereitet. Das Baby wird nun mit völlig neuen Gefahren konfrontiert. Auch andere Ängste, wie etwa die Höhenangst entwickeln sich in diesem Alter. Es handelt sich um Schutzreaktionen des Kindes.
Es lässt sich beobachten, dass Kinder Männern gegenüber stärker fremdeln als gegenüber Frauen. Gerade in Gefahrensituationen sucht das Kind nun Schutz bei seinen vertrautesten Bezugspersonen, um Gefahren richtig einschätzen zu können.
Fremdeln als Ausdruck der Trennungsangst
Der Zeitpunkt des Fremdelns hängt mit der motorischen Entwicklung zusammen, die etwa in denselben Zeitraum fällt. Bisher kam das Baby nicht selbstständig vorwärts. Es war darauf angewiesen, dass andere Menschen es tragen. Nun, wo es bald krabbeln kann, kann es passieren, dass es ohne sein Wollen verloren geht und von Fremden mitgenommen wird.
Die Distanz zu Fremden macht für das Baby demnach Sinn. Diese Schutzreaktion ist in den Genen des Kindes verankert und sichert seit jeher das Überleben aller Kinder. Damit zusammen fällt ein wichtiger Entwicklungsschritt in der Sinneswahrnehmung. Kinder können mit etwa acht Monaten Bekanntes von Fremden unterscheiden.
Warum Kinder bei Männern stärker als bei Frauen fremdeln
Doch warum fremdelt das Baby auch bei bekannten Personen wie Oma und Opa oder dem Babysitter? Ab dem Fremdelalter ist das Baby nicht mehr ausschließlich auf das Stillen durch die Mutter angewiesen. Auch andere Personen können nun Mitversorger sein. Diese Versorger gilt es gründlich auszuwählen. Das Baby wird nun wählerischer, was Bezugspersonen angeht.
Nur wer wirklich verlässlich ist und die Versorgerrolle übernehmen kann, lässt das Kind an sich heran. Das sind in der Regel häufiger Frauen. Das ist auch ein Grund warum Kinder gegenüber Männern stärker Fremdeln als gegenüber Frauen. Frauen bringen eher Erfahrung mit im Umgang mit Babys als Männer und können die Versorgerrolle besser übernehmen, zumindest im historischen Kontext.
Fremdeln, um Gefahren zu erkennen
In der zweiten Hälfte des ersten Lebensjahres können Kinder Gefahren noch nicht besonders gut einschätzen. Sie lesen anhand der Reaktion ihrer Bezugspersonen ab, ob eine Situation gefährlich oder ungefährlich ist.
Besonders in unbekannter Umgebung mit vielen fremden Personen treibt es Babys häufig auf den Schoß der Mutter, um Situationen besser einschätzen zu können. Auch diese Schutzreaktion rettete früher einmal das Überleben der Kinder, auch wenn heutzutage Kinder in einem sehr behüteten Raum aufwachsen.
Unterschiedliche Ausprägungen des Fremdelns
Das Fremdeln ist von Kind zu Kind unterschiedlich stark ausgeprägt. Die Ausprägung bestimmt sich vor allem durch drei Faktoren – dem sozialen Hintergrund des Kindes, dem Temperament des Babys und der Bindung zu seinen hauptsächlichen Bezugspersonen.
Kinder, die von Anfang an viel mit anderen Menschen interagieren und in einer größeren Gruppe leben, fremdeln allgemein weniger. Zudem fremdeln schüchterne und ängstliche Kinder deutlich stärker als Kinder, die offener gegenüber neuen Erfahrungen sind. Bei diesen Kindern überwiegt die Neugier gegenüber der Angst.
Unsicher gebundene Kinder fremdeln in den meisten Fällen auch deutlich weniger als sicher gebundene Kinder. Durch eine unsichere Bindung kann das Fremdelverhalten sogar ganz ausbleiben.
Kinder, die kein Fremdelverhalten zeigen
Das Fremdeln entwickelt sich aus dem Urvertrauen, dass das Kind zu seinen Bezugspersonen aufgebaut hat. Ein Kind fremdelt meist nur, wenn seine Bezugspersonen, zu denen es eine gute Bindung hat, im Raum sind. Kinder, die zu ihren Bezugspersonen eine unsichere Bindung haben, fremdeln nicht oder nur sehr wenig.
Meist liegt das daran, dass sich diese nicht ausreichend um die grundlegenden Bedürfnisse des Kindes kümmern. Die Bindung ist durch ein ablehnendes Verhalten der Eltern gegenüber dem Kind, starke Unzuverlässigkeit, Vernachlässigung oder Missbrauch gestört. Dem Kind ist es egal, ob sich seine Bezugspersonen oder Fremde um es kümmern, Hauptsache es wird versorgt. In seinen Bezugspersonen sieht es keine besonders verlässliche Quelle bei Angst oder Unsicherheiten.
So können Eltern mit dem Fremdeln umgehen
Wenn das Baby von heute auf morgen anfängt zu fremdeln, kann das für die Eltern ganz schön belastend werden. Letzte Woche war er noch freudig auf dem Arm der besten Freundin und jetzt weint der Nachwuchs nur noch. Oft beruhigt es schon, zu wissen, dass das Fremdeln ein ganz natürliches Verhalten ist, dass jedes Kind durchlebt. Trotzdem würden viele Eltern ihrem Kind das Fremdeln am liebsten abgewöhnen. Doch viel wichtiger ist es, die Angst des Kindes als eben diese anzuerkennen und es authentisch zu begleiten.
Kann man das Fremdeln abgewöhnen?
Da es sich bei dem Fremdeln um ein natürliches Verhalten handelt, welches genetisch tief verankert ist, kann es dem Baby nicht abgewöhnt werden, ebenso wenig wie die Trennungsangst. Ein Baby kann noch nicht rational verstehen, dass es heutzutage sicher ist und nicht um sein Überleben fürchten braucht.
Die Angst des Kindes legt sich ohne zutun der Eltern von selbst und wird schnell von der Neugier überlagert. Das Kind beginnt eigenständig die Angst zu überwinden und wieder mit scheinbar Fremden zu interagieren. Das Erzwingen von Kontakt zu Fremden kann das Fremdelverhalten sogar verstärken.
Das fremdelnde Kind unterstützen
- Das Fremdeln ist eine natürliche Reaktion des Kindes, die in seinen Genen verankert ist. Nimm Dein Kind in seiner Angst ernst.
- Hilf Deinem Kind bei Angst- und Panikreaktionen. Zeige ihm, dass die Situation nicht gefährlich ist, indem Du es zum Beispiel sanft streichelst und mit ruhiger Stimme mit ihm sprichst. Eine aufgeregte Reaktion wie Schimpfen zeigt dem Kind eher, dass eine Gefahrensituation bevorsteht.
- Manchmal fühlen sich die „fremden“ Personen, wie Oma oder Opa vor den Kopf gestoßen, wenn das Kind sie plötzlich ablehnt. Erkläre Ihnen die Situation, um Verständnis zu schaffen.
- Zwinge Deinem Kind die Nähe von Personen, die es ablehnt, nicht auf. Bitte freundlich um etwas Abstand und stärke das Vertrauen zwischen Kind und „Fremden“ erst einmal auf Distanz. Dem Kind sollte ausreichend Zeit gelassen werden von selbst aus Kontakt aufzunehmen. Nach einem „Flirt“ in sicherer Umgebung auf Mamas Schoß, bricht nach und nach das Eis und das Vertrauen zu der scheinbar fremden Person baut sich langsam auf.
- Wie stark ein Kind fremdelt, hängt auch von Deinem Verhältnis zu den Personen ab. Dein Kind merkt, wenn Du Personen nicht so gerne magst und es fremdelt automatisch stärker. Reagierst Du entspannt und authentisch gegenüber scheinbar fremden Personen, fällt auch die fremdelnde Reaktion des Kindes weniger stark aus.
Schlafen in der Fremdelphase
Das Schlafen wird in der Fremdelphase manchmal zum Problem. Die Trennungsangst ist allgegenwärtig – auch im Traum. Das Kind sucht jetzt häufiger Nähe zu seinen Bezugspersonen und schläft allgemein unruhiger. Es kann sein, dass Babys, die bisher allein in ihrem Bett geschlafen haben, plötzlich nicht mehr ohne die Nähe ihrer Eltern einschlafen können. Dieses Verhalten sichert das Kind ab, dass es auch im Schlaf nicht von seinen Bezugspersonen getrennt und weiterhin gut versorgt wird.
Fremdeln beim Start in die Kinderbetreuung
Der Krippenstart oder die Eingewöhnung bei einer Tagesmutter fällt häufig in den Zeitraum der Fremdelphase. Dem Kind fällt es in dieser Zeit besonders schwer, eine Beziehung zu den noch unbekannten Betreuungspersonen aufzubauen. Es ist deswegen besonders wichtig, behutsam vorzugehen.
Bewährt hat sich das sogenannte Berliner-Modell. Bevor die Eltern das Kind allein in der Krippe oder bei der Tagesmutter lassen, sollte das Kind ausreichend Zeit haben, eine gute Bindung zu den Erziehungspersonen aufzubauen. Während ein Elternteil anfangs noch mit in der Gruppe ist, nimmt die Betreuungsperson aktiv Kontakt zum Kind auf, während sich das Elternteil zurückhält und nur Rückzugsperson ist. Erst wenn das Kind Vertrauen zu den anderen Personen geschlossen hat, sollte eine Trennung stattfinden, um das Kind und die Bindung nicht zu belasten.